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Lösungen Kapitel 16

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Aufgabe 16.1:

Wie Thomson (Lord Kelvin) auf die Kabelgleichung kam.

Die Kabelgleichung ist eine Diffusionsgleichung eines Spannungsimpulses entlang eines leitenden Rohres. Ein lokal erzeugter Spannungsstoß breitet sich also wie eine scharfe Verteilung von Molekülen in einer eindimensionalen Flüssigkeit aus. Sie wird also verschmiert.

Die Gleichung der Signalfortpflanzung die Thomson seinem Kollegen Stokes in einem Brief mitteilte, können wir auf die Anwendung des Kirchhoffschen Gesetzes, zurückführen, indem wir annehmen, die Membran bestünde aus vielen kleinen Widerständen und der homogenen Kapazität LaTeX: C_m.

Schematisches Bild eines Membranstückes


Da uns nur interessiert, weshalb die Ausbreitung diffusiv ist, nehmen wir (wie Thomson) an: LaTeX: R_a=0. Der ohmsche Strom LaTeX: I_i im Zytoplasma wird durch den Verlust an Strom durch die Membrane abgeschwächt. Wir können dann im Sinne des Kirchhoff:

LaTeX: \int I_m(x) dx\approx I_i(x)-I_i(x+dx)=\frac{1}{R_i}\frac{\partial V}{\partial x}

wobei LaTeX: I_m der ohmsche Strom durch die Membran ist, gemessen in (LaTeX: A Laenge^{-1}). Ableitung der Gleichung nach x liefert schließlich für den ohmschen Strom durch die Membran LaTeX: I_m=\frac{1}{R_i} \frac{\partial ^2 V}{\partial x^2} und für den Gesamtstrom:

LaTeX: I=\frac{1}{R_i}\frac{\partial ^2 V_m}{\partial x^2}-C_m\frac{\partial V_m}{\partial t}

Zur Prüfung des Ergebnisses sollte man noch die Dimensionen betrachten. Wobei LaTeX: [R_i] = 1 \frac{\Omega}{cm}. Der Strom durch die Membrane hat die Form (mit LaTeX: [I_m] = \frac{A}{cm}, LaTeX: [R_m] = \Omega cm und LaTeX: [C_m]=1 \frac{F}{cm}= 1 \frac{As}{V cm}.

Das Ergebnis besagt, dass die Abschwächung des Signals durch dissipativen Verluste aufgrund des ohmschen Stromes durch die Membran bewirkt wird.


Aufgabe 16.2:

Experiment zur Beobachtung der Funktion der Ranvier Schnürringe (das Experiment von Huxley and Stämpfli).

Zur Erinnerung: Die quasi-periodisch angeordneten Myelinscheiden sind zwischen 0.2 LaTeX: \mu m und 2 mm lang, was etwa dem 100fachen des Durchmessers der Nervenleiter entspricht. Sie können aus 20-150 Doppelschichten bestehen. Das Experiment von Huxley und Stämpfli war einer der ersten und wichtigsten, mit dem die saltatorische Bewegung der Nervensignale bewiesen wurde. Die Messanordnung bestand aus drei mit Puffer gefüllten Kompartimenten (Bäder), über die der isolierte Nerv gelegt wurde. Zwischen dem mittleren (eigentlich schmäleren) und den äußeren beiden Bädern waren zwei schmale Luftspalten. Zur Registrierung dienten Elektroden, die mit dem Nerven in der in der Abbildung gezeigten Weise verbunden wurden. Der Stromkreis vom Nervenoberfläche zum Leiter in horizontaler Richtung wurde in den Luftspalten unterbrochen. Der Stromfluss (sowohl der Betrag als auch die Richtung) wurde über den Spannungsabfall über dem Widerstand R bestimmt.

Schematischer Versuchsaufbau
Aufbau Axon


Falls die Myelinscheide, wie nach dem Modell der saltatorischen Transports erwartet, als Isolator wirkt, so erwartet man nur dann einen Stromimpuls durch den Widerstand, wenn die Elektrode das nackte Axon im Schnürring tangiert. Messungen wurden nun für zwei Szenarien durchgeführt. In einem (oben in Bild) befand sich im mittleren Bad ein Schnürring, während im anderen die Myelinscheide das ganze Bad durchspannte. Tatsächlich beobachte man nur im ersten Fall ein starkes Signal, das Ähnlichkeit mit dem Aktionspotential (AP) hat. Man erkennt, dass zu Beginn des AP ein Strom nach außen, vom Schnürring zum linken Bad, fließt. Dieses depolarisiert die Nervenmembran und führt zu einem Strom in das Axon am Ende des AP. Den Strom in das Axon kann man dem Natrium-Einstrom zuordnen. Wie im Kapitel 16 erwähnt, sind die Na-Kanäle im Schnürring konzentriert, während die K-Kanäle im Axon unter der Myelinscheide verteilt sind. Im zweiten Szenario findet nur ein möglicherweise kapazitiver Strom nach außen statt.

Zusatzbemerkungen:

Die ungleichmäßige Verteilung der Ionenkanäle kann durch Markierung mit monoklonalen Antikörpern sichtbar gemacht werden (s. Nicholls et al 'From Neuron to Brain' Fig 7.6). Folgendes Experiment zeigt, dass sie durch die Myelinschicht bestimmt ist: Entfernt man diese, so verteilen sich die Ionenkanäle nach ca. 20 Tagen homogen über das Axon. Wenn man sie wieder herstellt, trennen sich die Kanäle wieder.

Die Zerstörung der Myelinschicht durch Krankheit, wie Multiple Sklerose, hat fatale Folgen für das Leben der Patienten. Sie wird durch Entzündungen hervorgerufen, die die Myelinschicht abbauen.


Aufgabe 16.3:

Motivation: Die elektrisch und chemisch steuerbaren Ionenkanäle sind ein eklatantes Beispiel der Anwendung bistabiler Steuerelemente in der Biologie. Andere Beispiele sind die allosterischen Enzyme mit stark positiver Kooperativität und die durch GDP LaTeX: \longrightarrow GTP Austausch aktivierten GTPase-Schalter. Viele rhythmische Prozesse basieren auf bistabilen Netzwerken aus Enzymen, wie die den Zelltod einleitenden Caspasen. Daher ist es für Biophysiker wichtig, sich mit den molekularen Grundlagen solcher Schalter zu beschäftigen, über die man in den Grundvorlesungen in der Regel wenig lernt. In der Bioinformatik befasst man sich intensiv mit bistabilen Netzwerken. Meist sind diese Modelle formal und es ist oft schwer, sie mit konkreten biologischen Prozessen in Verbindung zu bringen.

Funktion der Tunneldiode: Die Tunneldiode besteht aus einem pn-Übergang sehr stark dotierter Halbleiter, sodass der Übergangsbereich sehr schmal ist (\char`\~ 10 nm). Dies hat zwei Konsequenzen: Die freien Ladungsträger können leicht durch die Potentialbarriere des Übergangs tunneln und bei der Spannung V=0 liegen das Leitungsband des p Leiters und das Valenzband des n-Leiters (und damit auch deren Fermi-Niveaus) etwa gleich hoch. Die Tunnel-Wahrscheinlichkeit hängt empfindlich von der Lage der Valenz- und Leitungsbandes ab und kann daher durch elektrische Felder gesteuert werden.

Abb. 16A.3: Das Energieschema und Strom-Spannungs-Kurve der Tunneldiode (TD). Das Energieschema gilt für den spannungsfreien Zustand. Man beachte, dass beim Anlegen einer Spannung die Energieniveaus Ecp und Evn sich einander annähern.


Wie die Abbildung zeigt, ist dass Verhalten durch vier Bereiche bestimmt, wenn wir die Spannung V von Sperr- zur Durchlassrichtung durchfahren:

Im Bereich I (Schaltung der Diode in Sperr-Richtung) liegt das Leitungsband (LaTeX: E_{Cn}) des n-Leiters tief und Elektronen können durch die enge Barriere von LaTeX: E_{Vp} nach LaTeX: E_{Cn} (unter Energiegewinn) tunneln und in Richtung der Anode laufen. Im Bereich II, in dem die Diode in Vorwärtsrichtung geschaltet ist, können die Elektronen vom n-Leiter in die unbesetzten Zustände des p-Leiters tunneln. Daher steigt der Strom wie in normalen Dioden) in beiden Bereichen mit V an. Beim Übergang in den Bereich III (d.h. am Maximum des Stromes) liegen die Zustände LaTeX: E_{Vp} und LaTeX: E_{Cn} gleich hoch. Alle Zustände sind besetzt und der Tunnelstrom endet. Da die Energie der Elektronen noch nicht hoch genug ist, um die Energiebarriere durch thermische Anregung zu überwinden, nimmt der Strom trotz steigender Spannung V ab. Daher wird der Widerstand im Bereich III formal negativ. Erst ab der Spannung am Minimum der I-V-Kurve kommt man in den normalen Bereich IV der Diode, in dem die Elektronen durch thermische Anregung über die Barriere fließen.

Da im Bereich III eine Erhöhung der Spannung LaTeX: \Delta V eine Stromänderung LaTeX: -\Delta I bewirken würde, könnte man ein Perpetuum Mobile bauen. Ist die Tunneldiode in einem Schaltkreis wie den in Abb. 16. 7 eingebaut, so kann nach Erreichen des Maximums von I Strom aus der Batterie über den Widerstand fließen, bis die Spannung auf einen neuen stabilen Zustand springt. Von dort kehrt das System durch Abnahme des Stroms und der Spannung wieder auf den Ausgangszustand zurück.

Anmerkung: Wir werden in Kapitel 33 am Beispiel des Elektronentransfers zwischen Farbstoffmolekülen des Photosyntheseapparats sehen, dass die Natur Tunnelprozesse ausnutzt.


Stabilitätskriterien.

Die Bogenlampe besteht aus zwei voneinander isolierten Elektroden, die in einen geschlossenen Gasraum eintauchen und über einen Widerstand mit einer potenten Spanungsquelle verbunden sind. Oberhalb einer Zündspannung wird das Gas durch Ionisation zu einem leitenden und leuchtenden Plasma das den Stromkreis schließt. Ein anderes Beispiel aus der Elektrotechnik sind spannungsabhängige Widerstände, wie der Variator.


Vergleich mit der Zustandsgleichung realer Gase


Betrachten wir zunächst die Gasentladung der Bogenlampe. Nach Einsetzen der Gasentladung wächst der Strom zunächst mit der Spannung V linear an und sättigt, d. h. es wird LaTeX: \frac{dI}{dV} \approx 0. Bei weiterer Erhöhung werden durch Stoßionisation Sekundärelektronen erzeugt. Es tritt ein Verstärkungseffekt auf und LaTeX: \frac{dI}{dV} steigt steil an und wird schließlich negativ. Bei der Bogenlampe stellt sich ein stationärer Zustand ein.

Mit negativen Kennlinien hat man es auch häufig in der Thermodynamik zu tun, wenn man die Stabilität von Zuständen betrachtet. Ein bekanntes Beispiel ist das p-V-Diagramm realer Gase. Die Stabilität ist hier durch die Bedingung bestimmt, dass die Entropie bei Zustandsänderungen stets zunehmen muss: LaTeX: \Delta S ~ LaTeX: pdV>0. Werden diese reversibel geführt, so ist die Koexistenz der expandierten und kondensierten Phase durch die Bedingung bestimmt, dass die gelben Flächen in der rechten Abbildung gleich groß sind. Die durch blaue Punkte markierten kurzen Bereiche mit LaTeX: \frac{dV}{dp}<0 sind metastabil und können durch Unterkühlung beobachtet werden.


Aufgabe 16.4:

Ein Ausflug in die Physiologie der Navigation: Der Kompass der Wüstenameise.

Motivation: Die Nagivation im Tierreich durch Wahrnehmung der Umgebung und der Entwicklung einer Strategie der Bewegung ist ein Gebiet der Zoologen und Tierphysiologen. Es beinhaltet aber eine Fülle physikalischer Konzepte und eröffnet eine große, noch unentdeckte Spielwiese für Physiker. Zwei Empfehlungen zum Einlesen: 'Die Karte im Kopf' von Leo van Hemmen (Phys. Rev Letters 84: 5668 (2000) oder D. Varju 'Mit den Ohren sehen und den Beinen hören' Verlag C.H. Beck München 1998.

Ein gut untersuchtes Beispiel ist die Navigation der Wüstenameisen. Sie kann sich auf der Suche nach Nahrung in der Wüste über 100 m vom Nest zu entfernen und findet problemlos wieder zurück. Eine ganze Reihe von Experimenten hat gezeigt, dass die Tiere anhand der Polarisation des Himmelslichtes ihr Nest lokalisieren können. Andererseits können sich Ameisen aber auch durch Markierung des zurückgelegten Weges mit Duftstoffen orientieren.

Frage 1: Wie kann man mit Polarisatoren die Richtung der Sonne feststellen?

Das von uns beobachtete Himmelslicht kommt durch Rayleigh-Streuung des direkten Sonnenlichts zustande. Das gestreute Licht wird von Molekülen der Luft ausgesendet, die als (vom Sonnenlicht angeregte) Hertzsche Dipole wirken. Wie man sich anhand des ersten Bild leicht klar machen kann, trifft vorwiegend Licht derjenigen schwingenden Dipole auf uns, deren Längsachse senkrecht auf der Einfallsebene steht. Außerdem hängt die Stärke der Polarisation vom Sonnenstand ab, wie das rechte Bild zeigt.

Abb. 16.A.4a: Links: Illustration der Polarisation des auf den Beobachter treffenden Streulichts. Rechts: Beobachtete Verteilung der Polarisation wenn die Sonne eine Höhe von 25° erreicht hat.

Frage 2: Wie könnte man feststellen, ob die Ameise nicht doch Duftstoffe zur Navigation benutzt?

Die Ameisen bewegen sich bei der Futtersuche in einem Bereich von 100 x 100 m wobei sie sich irrflugartig bewegt, wie das untere Bild zeigt. Bei der Rückkehr dagegen läuft sie auf einer geraden Strecke. Wird der Ameise depolariserende Brillen aufgesetzt verliert sie die Fähigkeit, direkt zum Nest zu laufen.

Abb. 16A.4b: Beispiel eines Weges einer Wüstenameise bei der Futtersuche und bei der Rückkehr


Frage 3: Welche Eigenschaft des Farbstoffs Rhodopsin wird dabei ausgenutzt?

Hier ist eine genauere Betrachtung des Komplexauges notwendig (s. auch das sehr gute Buch von R. Wehner und W. Gehring 'Zoologie' Thime Stuttgart 23. Auflage). Das Facettenauge besteht aus 8-9 ringförmig angeordneten Sehzellen (s. Abb:16A.4c), in deren Zentrum die Cilien der Zellen zusammenstoßen und das sog Rhabdom bilden (s. Abb:16A.4c links). Der Sehfarbstoff Rhodopsin mit dem Retinal als Lichtempfänger (s. Kapitel 9) bildet quasikristalline Anordnungen, die als starke Polarisatoren wirken (s.Abb:16A.4c rechts)

Abb. 16A.4c: Das Facettenauge der Insekten. Jede Facette (mit der Linse an der Oberfläche) besteht aus circa 9 ringförmig angeordneten Sehzellen, die als Lichtleiter dienen. Im Zentrum stoßen die Cilien jeder Zelle aneinander. Sie enthalten den Sehfarbstoff (Modifikationen des Rhodopsins) in quasikristallinen Anordnungen. Diese wirken als Polarisatoren. Wie das rechte Bild der Absorptionsspektren von Carotin zeigt, absorbieren die lang gestreckten Moleküle bevorzugt Licht, das parallel zur Längsachse orientiert ist.


Literatur:

(a) Nicholls et al. From neuron to brain. (4. Auflage, 2001, Ch. 15). (ii): Wehner and Srinivasan. J. Comparative Physiol.142. 315-338 (1998).

(b) R. Wehner. Polarized light navigation by insects. Scientific American 234:106-115 (1976)

Ergänzung

1) Es gibt die interessante Idee, dass schon die Wikinger die Polarisation des Himmelslichts zur Navigation ausnutzten. Als Polarisatoren könnten Sie das stark doppelbrechenden Kalkspat (Calcit) benutzt haben. (J. Walkerm, 'Der fliegende Zirkus der Physik', 9. Auflage. Oldenbourg Verlag 2008)

2) In Deutschland gibt es einige Nester der Wüstenameisen. Die Wissenschaftler wollten das Experiment auf dem Dach der Universität in Ulm demonstrieren. Sie schließen ein Nest an einen Kanal an. Am anderen Ende liegt eine Futterstelle. Nach kurzer Zeit haben die Ameisen das Gläschen mit Honig entdeckt und laufen zwischen Nest und Futter hin und her. Sehr schöne neuere Experimente von Wittlinger et al zeigen, dass sich die Wüstenameisen über kürzere Strecken auch durch Integration der Zahl der Schritte orientieren (siehe M. Wittlinger et al., 'The Ant Odometer: Stepping on', Science 312 (2006)).